Wenn das Gras nicht reicht...
Alarm in der Stallgruppe: Wallach Rudi ist ausgebrochen und über die Straße gelaufen! Zum Glück ist ihm nichts passiert, und er ist eingefangen worden. Doch bei der Ankunft an der Weide stellt man fest, dass der Zaun kaputt und außerdem zwei weitere Pferde verletzt sind. Bis gestern schien noch alles in schönster Ordnung zu sein. Was ist bloß plötzlich in die Pferde gefahren?
Auf den zweiten Blick wird der Grund klar: die Weide ist komplett abgefressen. Die Halme sind bis auf die Wurzeln abgenagt. Heufütterung gibt es im Sommer nicht. Die acht Pferde auf der kleinen Weide sind einfach hungrig und gestresst. Pferde wie Rudi lösen das Problem auf elegante Art und steigen einfach über den Elektrozaun. Mit genug Adrenalin im Blut spürt er den Strom kaum. Hauptsache, es gibt nun etwas zu fressen.
Ein sicherer Weidezaun hat wenigstens 80 Prozent der Widerristhöhe des größten Pferdes, das heißt 1,20 Meter ist bei Pferden über 1,60 Meter nicht genug. Stehen die Pfosten nicht sicher, dann ist der Zaun ohnehin nur Dekoration. Eine abgefressene Weide aber ist geradezu eine Einladung für die Pferde, sich woanders nach Futter umzusehen.
Trotzdem sind viele Pferde zu gut erzogen oder zu ängstlich, um durch den Zaun zu gehen. Hungerstress entlädt sich stattdessen in Aggression gegen ihre Leidensgenossen. Rangniedrige Pferde werden dann von den letzten grünen Hälmchen vertrieben und haben auch beim Trinken das Nachsehen. Ranghohe Tiere kämpfen um das verbliebene Futter, was dann zu schlimmen Verletzungen führen kann. In Rudis Herde hatte eine Stute einen Tritt an den Kopf abbekommen, wobei ein Nerv getrof-fen wurde. Danach konnte sie nicht mehr richtig kauen und ihre Unterlippe hing herab. Ein Wallach hatte am Rücken eine große offene Stelle im Fell und konnte für Wochen nicht geritten werden.
Viele Stallbesitzer füttern auf der Weide Heu zu, wenn das Gras nicht reicht. Aufgrund der großen Trockenheit in den letzten Jahren, ist das eine vernünftige Entscheidung. Andere sehen die Not-wendigkeit nicht, oder es ist ihnen zu viel Aufwand. Die Verantwortung für das eigene Pferd trägt letztlich der Besitzer. Die Frage ist, ob man Verletzungen oder Koliken riskieren will.
Letztlich kommt ein preiswerter Stall, in dem am Heu gespart wird, schimmliges Stroh eingestreut wird oder die Weide nicht gut gesichert ist, wenn man Pech hat, teurer als ein teurerer Stall, wo mehr Sorgfalt herrscht.